Die Brücke zwischen Verstand, Vernunft und Vergebung.
Wir kennen sie, die Momente, in denen das Denken an seine Grenzen kommt. Wenn sich unsere Gedanken im Kreis drehen und Argumente aneinander stoßen. In zusätzlicher Kollision mit nicht selten widersprüchlichen Gefühlen. Wenn wir uns endlich erschöpft wieder in Sicherheit bringen wollen, zeigt sie sich manchmal. Diese Bewegung, die über das Denken hinaus, hin zu einer nicht fassbaren, aber unwiderlegbar existenten höheren Ordnung strebt.
Eine Bewegung innerhalb der Fesseln des Denkens, in unantastbarer Ahnung der Größe dessen, was die Vernunft gegen die Begrenzung des Verstandes aufzuwiegen hat. Eine lebendige Dynamik über die Grenzen hinaus. Ein Aufscheinen der größeren Weite, die erst durch die Vernunft erfahrbar wird.
Vom Kopfe zum Herzen erreichen wir als Trophäe der Integration einen friedvollen Zustand der Vergebung in unserer Mitte.
Der Verstand. Das Werkzeug, das die Welt ordnet.
Der Verstand ist das Werkzeug, das uns Orientierung schenkt. Er sammelt Informationen. Analysiert und vergleicht. Wie ein Architekt des Bewusstseins baut er Strukturen, damit das Unbekannte eine begreifbare Form annimmt und wir eine verlässliche Basis zur Orientierung erhalten.
Das Wort Verstand selbst (vor etwas stellen), trägt die Idee der Betrachtung in sich. Wir begeben uns in Angesicht zu etwas oder jemandem, um uns ein Urteil bilden zu können. Aus diesem Vorgang erwächst ein Gefühl der Sicherheit, da er Orientierung schenkt. Die so gewonnen Erkenntnisse bleiben auf dieser Stufe allerdings oft in den Grenzen des Verstandesmäßigen haften.
Hier bleibt der Verstand allein. In seinem Bemühen nach Klarheit ist er letztlich doch etwas verloren, sobald er das von ihm Erfasste als etwas Absolutes kategorisiert. Die Welt versteinert dann in ihren Konturen.
Die Vermeintliche Klarheit wird zur Blockade des Lebensflusses, der ganz spielerisch und leicht durch diese wahrgenommenen Barrieren fließen könnte. Und er kann, wenn wir diese Enge des Verstandes dort aufgeben, wo seine Funktion nicht zu Orientierung beiträgt, sondern zu Stagnation und Verhärtung.
Die Vernunft. Ein Werkzeug des höheren Verstehens.
Der Begriff Vernunft leitet sich ab von vernehmen (etwas aufnehmen, wahrnehmen, erkennen).
Die Vernunft ist also weit mehr als bloß die Fähigkeit des logischen Denkens oder rationalen Abwägens. Sie ist eine Brücke zwischen Geist und Bewusstsein. Ein Werkzeug des höheren Verstehens, das über das bloß intellektuelle Erfassen hinausführt und schon dem Wortlaut nach etwas aufnimmt. Integriert. Aus seiner Isolierung löst und in eine höhere Ordnung überführt.
Die Vernunft ordnet und durchschaut. Sie erfasst nicht nur die wenigen sichtbaren Anteile, sondern bleibt verbunden mit dem Ganzen. Mit dem dahinter liegenden Prinzip, der Essenz.
Vernunft wirkt als Weisheit, die das Denken mit dem Herzen versöhnt. Sie agiert nicht mehr in Gegensätzen, sondern in Zusammenhängen. So wird Erkenntnis zu Einsicht. Durchdrungen von Mitgefühl und Weisheit. Sie erwächst aus einem Bewusstsein, das sich nie als getrennt vom Leben in seiner Tiefe verstanden hat.
Hier erleben wir das innere Gleichgewicht, das Gegensätze vereint und den Sinn sowohl im Licht als auch im Schatten erblickt.
In mystischer Sicht kann Vernunft als Ausdruck des göttlichen Geistes im Menschen gelten. Durch sie wird die höhere Ordnung in das menschliche Denken übersetzt. Sie ist somit Teil des kosmischen Logos, der schöpferischen Intelligenz, die das Universum ordnet.
Während Intelligenz und Wissen gesammelt oder trainiert werden können, erwächst Vernunft aus inneren Prozessen. Sie ist der Moment, in dem Erkenntnis und Bewusstheit eins werden. In dem wir nicht nur verstehen, was ist, sondern auch warum.
Die Vergebung. Das Loslassen in Frieden.
Und dann kommt der Moment, in dem weder Denken noch Erklären benötigt werden. Wenn alles Verstehen seine Bedeutung verliert öffnet sich die Tür zur Vergebung.
Das Wort Vergebung nimmt seine Bedeutung aus weggeben, loslassen. Ein Urteil wird hier nicht nur aufgegeben sondern aufgehoben und transzendiert. Ein Entlassen dessen, was der Verstand festhalten wollte. Selbst die Fragen der Vernunft sind auf dieser Ebene nicht weiter bedeutsam, weil eine heilsame Überführung stattfindet.
Wir könnten sie poetisch als Antwort des Herzens auf das Unbegreifliche auffassen. Vergebung wird dann zum Ende jeder Trennung. Nicht, weil sie Grenzen auflöst, sondern weil sie alles heimholt in das, was es ist: Wachstum. Endlich können wir die Fessel lösen, die uns an das Geschehen bindet.
Vielleicht ist Vergebung der letzte, höchste Ausdruck von Verstehen, indem sie Wissen und Erkenntnis in inneren Frieden verwandelt.
Wenn Denken zum Gebet wird.
Wenn uns der Verstand Klarheit bringt und die Vernunft uns Einsicht schenkt, führt uns die Vergebung in die Freiheit. Dann erleben wir vielleicht so etwas wie eine Art Heimkehr in uns selbst.
Denn dort, wo Verstand und Vernunft in die Vergebung münden, geht Bewusstsein in Frieden über. Und am Ende erkennen wir, dass all unser Streben nach Wissen nichts anderes war, als der emsige Versuch, zu uns selbst zurückzufinden.


